Manchmal kommt es anders…

Schaufenster der evangelischen Ladenkirche in Mülheim

Karfreitag ist mir wieder aufgefallen, wie sehr doch das Internet dazu tendiert, alles Groteske und Hässliche besonders hervorzuheben. Die einen posteten einen besoffenen Jesus-Darsteller, der unter einem Kreuz aus Bierkästen fast zusammenbrach, die anderen den an einen Veits-Tanz erinnernden Kirchenauftritt von Tetiana Znamerovska, den die ARD anlässlich des hohen Feiertages ausstrahlte. Ich verzichte hier jetzt mal auf eine Verlinkung, weil diese Ereignisse auf X (formely known as Twitter) und Facebook schon genug Aufmerksamkeit erhalten haben.

Wer immer wieder verstörende Meldungen dieser Art in die Timeline gespült bekommt, muss eigentlich zwangsläufig irgendwann zu der Überzeugung kommen, dass ein Großteil der Menschheit den Verstand verloren hat und dass die Kirchen und öffentlich-rechtlichen Sender an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig sind.

Doch stimmt das wirklich? Tatsächlich wird es wohl in 99,9% der evangelischen Kirchen an Karfreitag keine absurde Tanzeinlage gegeben haben und auch wenn viele mit dem christlichen Glauben nichts mehr anfangen können, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass Jesus für alle nur noch eine Witzfigur ist.

Karsamstag bin ich dann gegen 21:00 Uhr auf dem Mülheimer Kirchenhügel zufällig an einer kleinen Versammlung vorbeigekommen. Zwischen der evangelischen und katholischen Kirche hatten sich einige Christen eingefunden, um die Osterkerzen anzuzünden. Nach der feierlichen Zeremonie zogen die Katholiken samt einer Ministrantenschar mit ihrer Kerze zur Pfarrkirche St. Mariä Geburt und eine kleine Gruppe ging zur benachbarten evangelischen Petrikirche. Vermutlich auch, weil es wirklich nur einige wenige Gläubige waren, fragte ich spontan, ob ich mich anschließen könne – wogegen keiner etwas hatte. Ich scherzte noch, dass das Ganze nach einer sehr exklusiven Veranstaltung aussehen würde und bedauerte auch, dass wir nur so wenige sind. Nur die Pfarrerin und eine Handvoll Gemeindemitglieder – irgendwie hatte mich das Mitleid gepackt. Und so rechnete ich damit, dass nach einem kurzen Gebet in der Kirche die kleine Osterzeremonie beendet wäre. Wie man sich doch täuschen kann.

Wir gingen also durch den Seiteneingang in die fast stockdunkle Petrikirche und zu meiner großen Überraschung war diese rappelvoll mit Menschen. Vorne stand zudem ein ganz großartiger Chor, der zwischen den einzelnen Lesungen – teils gemeinsam mit der Gemeinde – betörend schön sang. Ich war in eine Osternacht geraten! Nach und nach wurde feierlich eine Kerze nach der anderen von der Flamme der Osterkerze angezündet. Bis der ganze Kirchenraum erleuchtet war. Und auch mir ein, zwei Lichter aufgegangen sind:

1.) Manchmal kommt es anders als man denkt.
2.) Genau das ist Ostern passiert.

Glaubt nicht alles, was im Internet oder in den anderen Medien vermittelt und verbreitet wird. In der Realität findet überraschend viel Erfreuliches statt – wenn wir uns die Zeit dafür nehmen und auch mal genauer hinschauen. In diesem Sinne: Frohe Ostertage!

Advent, Advent…

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Sicherlich nicht nur für mich immer eine besondere Zeit mit besonders vielen Nebenwirkungen: besonders viel Stress, besonders viel Hektik und dazu noch die besonders hohe Erwartungshaltung. Und dann auch noch das ganze Essen: viel zu viel Süßes, Fettiges, Ungesundes. Die Idee, den Advent einfach mal etwas anders zu gestalten, fasziniert mich ja schon länger. 2020 hatte ich zum Beispiel in einem kleinen Experiment so viele Online-Adventskalender wie möglich ausprobiert (Link). Nach ca. 420 Spielen war mir dann klar, dass es sich wirklich überhaupt nicht lohnt, da mitzumachen: ca. 420 Nieten hatten meine Adventszeit zwar anders gemacht, aber nicht wirklich bereichert. Im Gegenteil: das Ganze hatte mich über 25 Stunden meiner wertvollen Lebenszeit gekostet. Ist es nicht unfassbar, mit was für einen Blödsinn man seine Tage verplempern kann?

Gestern, also am 1. Dezember, erinnerte mich ein Insta-Post der Credo-Gemeinde Mülheim-Saarn daran, dass die Adventszeit ursprünglich eine Fastenzeit war. Im katholischen Kirchenrecht wird Fasten zwar seit 1917 nicht mehr ausdrücklich verlangt, doch geht es im Advent weiterhin eigentlich um Buße und Besinnung. Also eben nicht um Konsum und Völlerei. Pastor Manuel Rheinschmidt schlägt in seinem Beitrag vor, einfach mal ein paar überflüssige Handy-Apps in einen Ordner „Fasten“ zu schieben.

Und da kam auch ich auf die geniale Idee: Weniger ist mehr! In dieser Adventszeit werde ich mir jeden Tag irgendetwas ausdenken, auf das ich bis Weihnachten oder sogar ganz verzichten werde. Gestern hatte ich beispielsweise Candy Crush und Solitär in einen Fastenordner verbannt und es hat tatsächlich einen Unterschied gemacht: Ich habe abends mal wieder ein gutes Buch gelesen.

Heute wird wahrscheinlich wieder eine App verschwinden. Oder ein Stapel alter Zeitschriften. Oder ein paar Klamotten, die ich sowieso nie anziehe. Ich weiß noch nicht genau, was passieren wird, aber es macht mir auf jeden Fall gerade ziemlich viel Spaß.

Und den wünsche ich Euch auch! Habt eine außergewöhnlich gute, besinnliche Adventszeit! Ho Ho Ho!

Photo by Kelly Sikkema on Unsplash

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Der Tierheimkalender 2023 ist da!

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Und weil das neue Kalendarium 2022 so gut angekommen ist, gibt’s auch diesen Kalender wieder mit genug Platz für Termine und Notizen. Dazu natürlich viele tolle Tierfotos von Friedhelm Niederdorf und die passenden Texte von Marion Niederdorf. Satz, Reinzeichnung sowie Druck-PDF sind von mir. Und das übrigens seit mittlerweile zehn Jahren.

Bereits der erste Kalender „Mülheimer Tierheimbewohner 2013“ hatte das Anliegen, das stark sanierungsbedürftige Mülheimer Tierheim und seine Bewohner zu unterstützen. Diese Hilfe ist leider weiterhin dringend nötig. Jetzt angesichts der steigenden Energie-, Tierarzt- und Futterkosten wohl mehr denn je.

Der Tierheimkalender ist gegen Spende beim Städtischen Tierheim Mülheim, der Geschäftsstelle des Tierschutzvereins Mülheim an der Ruhr e. V. sowie in zahlreichen Tierarztpraxen und Tierfuttermittelhandlungen in Mülheim an der Ruhr erhältlich.

Danser encore!


„Angst verhindert nicht den Tod. Sie verhindert das Leben.“
Nagib Mahfuz

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Ich erinnere mich noch, wie es war, als es mit dieser Seuche losging. Die unsichtbare Bedrohung, vor der uns Wissenschaftler und Politiker Tag und Nacht warnten, die ganzen verstörenden Sondersendungen in den öffentlich-rechtlichen Medien, die immer neuen Horrormeldungen im Internet… Schon im März 2020 war ich davon so traumatisiert, dass ich meiner Freundin am Telefon tatsächlich davon abriet, mir mein Geburtstagsgeschenk per Post zu schicken. Nicht nur, weil ich ihr nicht den Besuch einer Postfiliale zumuten wollte, sondern auch, weil ich den tödlichen Virus auf dem Geschenkpapier fürchtete. Die Seuche hätte auch vom DHL-Boten auf mich übertragen werden können. Im Geiste sah ich mich schon das Päckchen aus sicherer Entfernung in die Luft sprengen. Nur um kein Risiko einzugehen.

Weil ich wusste, dass der Virus eigentlich überall sein kann, auch im Aldi und bei Netto, entschied ich mich irgendwann doch dafür, mir meine Lebensmittel liefern zu lassen – vom Biobauern, natürlich kontaktlos. Ein kostspieliges, zeitaufwendiges Vergnügen, da ich mitunter den halben Samstag auf die Lieferung warten musste. Längst hatten auch alle anderen erkannt, dass das Leben lebensgefährlich ist und jeder Mitmensch eine potentielle Virenschleuder, die einen ins Krankenhaus befördern könnte. Beim Entgegenkommen wechselten sie die Straßenseite oder machten einen möglichst großen Bogen um mich. Als wir auch noch im Fernsehen darüber aufgeklärt wurden, was für enorme Aerosolfahnen Jogger hinter sich herziehen, achtete ich bei meinen Laufrunden auf besonders große Abstände – einfach, um den Spaziergängern nicht noch mehr Angst zu machen als sie ohnehin schon vor mir hatten.

Angst essen Seele auf

Ich weiß noch, wie ich später in der Weihnachtszeit mit einer Nachbarin draußen auf der Parkbank Glühwein trank und wir eigentlich die ganze Zeit nur darüber debattierten, wie hoch nun unser Risiko ist. Auf verschiedenen Bänken weit voneinander entfernt sitzend, an der frischen Luft. Während sie sich ziemlich sicher war, dass das überhaupt kein Problem darstellt, habe ich später tagelang darauf geachtet, ob mein Geruchssinn noch funktioniert. Er funktionierte.

Dieses permanente Misstrauen, dieses schleichende Gift, das jedes Miteinander zu einem komplizierten Balanceakt werden lässt, zieht sich quer durch unsere Gesellschaft und hat sich natürlich mittlerweile auch in den Familien ausgebreitet. Wenn sich die Frage stellt, wer Oma und Opa nun eher unter die Erde bringt: die leichtsinnigen Enkelkinder, die sich weiter mit Freunden treffen oder etwa diese komische Tante, die sich plötzlich für eine freie Impfentscheidung ausspricht, können sich menschliche Abgründe auftun. Wie Jens Spahn schon sagte: „Wir werden in der Corona-Krise einander viel verzeihen müssen.“

Diese ganzen gesellschaftlichen Verwerfungen – auch die Diskriminierung Ungeimpfter, die Verunglimpfung von Demonstranten in den öffentlich-rechtlichen Medien – halte ich inzwischen für gefährlicher als das Virus selbst. Und bei einigen Politikern frage ich mich ernsthaft, ob sie ihren Verstand verloren haben. Als ob sie der Bevölkerung nicht schon genug zumuten, drohen sie jetzt auch noch mit einer allgemeinen Impfpflicht – mit einem Impfstoff, dessen Wirkung man nun wirklich nur noch als enttäuschend bezeichnen kann. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich irgendwann mal mehr Angst vor Karl Lauterbach als vor Corona haben würde.

Ich hoffe, dass 2022 viele aufstehen und wieder tanzen. Auf den Straßen. Für ihre Rechte, für ihre Freiheit und für ein Leben ohne Angst und Schrecken.

Photo by Fey Marin on Unsplash

Dieser Artikel wurde – wie fast alle Artikel seit 2017 – auch auf fisch+fleisch veröffentlicht: Link

Inzidenzen: Ich sehe was, was du nicht siehst

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Neuerdings wird in den sozialen Medien von Corona-Verharmlosern unter aktuellen Corona-Meldungen gerne eine Grafik ähnlich wie diese hier gepostet:

Inzidenz100

So auch kürzlich, als die WAZ eine Karte der Stadt Mülheim mit den Inzidenzen der einzelnen Stadtteile veröffentlicht hatte. Dazu wird dann noch auf eine Schwurbler-Seite im Netz verwiesen, auf der Dr. Wodarg seine haarsträubenden Ansichten vertreten darf und die tödliche Seuche als harmlos dargestellt wird. In den FAQ der Internetseite werden dermaßen viele Lügen verbreitet, dass es sich kaum lohnt, sich länger als fünf Minuten damit zu beschäftigen – deshalb werde ich darauf jetzt nicht verlinken.

Was diese Grafik bezwecken soll, ist schon klar: suggerieren, dass eine Inzidenz von 100 eigentlich kaum der Rede wert ist, weil sie auf der Grafik eben kaum sichtbar ist.

Doch die Stadtkarte von Mülheim offenbarte noch mehr. Zwar liegt die Inzidenz der Stadt mittlerweile bei 224,5 (Stand 17.04.2021), aber in den einzelnen Stadtteilen sind eklatante Unterschiede erkennbar. So beträgt die Inzidenz im vornehmen Mülheim-Saarn 108,3, im gutbetuchten Menden-Holthausen 117,4 und in Styrum – einem recht ärmlichen Stadtteil mit exorbitant hohem Migrationsanteil – katastrophale 475,4. In Styrum ist die Anzahl der Infizierten also 4 x so hoch wie in den anderen Stadtteilen. Dass Corona vor allem die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen trifft, ist schon seit längerem bekannt. Weitere Infos dazu hier und hier und hier.

Um mir selbst ein Bild von der Lage in Styrum machen zu können, habe ich einfach mal die Schwurbler-Grafik als Grundlage genommen und die Inzidenz von Styrum sichtbar gemacht:

Inzidenz475

Derzeit liegt der R0-Wert bundesweit knapp über 1, d.h. eine Person steckt eine weitere an. In Styrum sehen wir aber, dass sich 4 x so viele Menschen anstecken wie in anderen Stadtteilen. Deshalb könnte die Grafik in einer Woche so aussehen:

InzidenzR4_neu 2

Laut RKI liegt die Dunkelziffer bei einem Faktor von 4 bis 6. Da wir es mittlerweile überwiegend mit der aggressiveren Variante B.1.1.7 zu tun haben, nehme ich mal den Faktor 5. Wenn ich also auch noch die Dunkelziffer darstelle, könnte sich für Styrum nächste Woche dieses Bild ergeben:

InzidenzR4Dunkel_korr

Weil diese ganzen Zahlen aber im Grunde ein Infektionsgeschehen darstellen, das sich bereits vor ca. einer Woche ergeben hat, halte ich die letzte Grafik für ziemlich realistisch, um das derzeitige Risiko in Styrum einzuschätzen.

Nun kann man argumentieren, dass aber nicht alle rot markierten Männchen in der Grafik schwer erkranken. Das ist schon richtig. Nur werden diese dazu beitragen, dass die Seuche eben auch Angehörige der Risikogruppen trifft – dazu gehören immerhin bis zu 40% der Bevölkerung. Dass das bereits der Fall ist, zeigt der Klinik-Monitor. Die Intensivstationen beider Mülheimer Krankenhäuser sind inzwischen voll ausgelastet. Es sieht also nicht so gut aus.

Photo by David Travis on Unsplash

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